Urteil: Verpiss dich! - Keine Beleidigung?!

Der Fall:

Nach einem Spiel soll Spieler A einen Schiedsrichter mit einem lauten „Verpiss dich!“ verabschiedet haben.

 

Die Unparteiischen fertigten einen entsprechenden Eintrag im Spielbericht.

Darauf erließ die Spielleitende Stelle einen Bescheid:

 

„Diskussion nach dem Abpfiff. Spieler Nr. A Gastmannschaft, Beleidigung des Schiedsrichters im Kabinengang mit den Worten " Verpiss dich". Nach Regel 16:11 c) und Regel 8:10a).

Er wird mit einer Sperre von 2 Meisterschaftsspiele/Pokalmeisterschaftsspiele belegt.“

 

Hiergegen wendete sich der Einspruch des Vereins von A, der u.v.a. damit begründet war, dass nicht feststellbar sei, ob die streitgegenständliche Äußerung überhaupt von Spieler A getätigt worden sei.

 

Die Entscheidung des Landesspruchausschusses (LSA) des Handballverbands Niederrhein vom 3.Februar 2023:

 

Dem Einspruch wurde vollumfänglich stattgegeben.

 

Das Gericht ließ es offen, ob Spieler A der Übertäter war oder nicht. Es stellte fest, dass es sich bei der Äußerung „Verpiss dich!“ jedenfalls nicht um eine Beleidigung handele.  

 

Es bezog sich dabei auf ein Urteil des Amtsgerichts Dortmund und übernahm die Begründung.

 

Der Bezug: Urteil Amtsgericht Dortmund, 767 Ls-600 Js 445/19 -5/20, rechtskräftig seit 18.02.2020:

 

„[…] Das Gericht hat sich insoweit – vom Vorsitzenden bekannt gegeben - mit der Wortbedeutung und mit der tatsächlichen Nutzung der Formulierung „Verpisst euch“ befasst. Hierfür hat es allgemein zugängliche Quellen einer Internetrecherche genutzt und das Ergebnis als gerichtsbekannt bekannt gegeben. Die Bedeutung der Formulierung „Verpisst euch“ geht in erster Linie dahin, dass sich die angesprochenen Personen von einem Ort entfernen sollen. Die Äußerung ist also etwa als:

 

„Verschwindet! Geht weg! Haut ab!“ zu verstehen. Das Gericht hat etwa im Rahmen der Internet-Recherche als einen der vorderen Suchbegriffe einen Udo Lindenberg-Satz aus dem Song „Panik Panther“ aus dem Jahre 1992 gefunden, in dem Lindenberg singt: „Faschos verpisst euch“. Auch die Berliner CDU hat in den vergangenen Jahren gegenüber Drogendealern „Verpisst euch! Wir klauen euren Scheiß aus euren Verstecken! Haut ab!“ plakatiert. Möglicherweise wird dementsprechend in weiten Teilen der Bevölkerung und der die Republik tragenden Parteien eine derartige Wortwahl für tragbares Umgangsdeutsch erachtet und nicht als Beleidigung aufgefasst.

 

Schließlich gab es zu den G20-Protesten auf der Seite www.Stern.de einen Kommentar überschrieben mit den Worten: „An den schwarzen Block: Verpisst euch aus unserer Stadt!“.

 

Derartige Umgangstöne sind aus Sicht des Gerichtes höchst unerfreulich, offensichtlich derzeit aber deutschlandweit im Umgang miteinander üblich und gesellschaftlich gebilligt oder gar erwünscht. […]“

 

https://www.burhoff.de/asp_weitere_beschluesse/inhalte/5515.htm

 

Anmerkung von Handallrecht:

 

Auch wenn ich den Einspruchsführer erfolgreich vertreten habe, rate ich dringend davon ab, diese Entscheidung des LSA als Freifahrtschein für Unsportlichkeiten zu sehen.

 

Letztlich wollen wir doch trotz aller Emotionen in unserer Sportart einen fairen Umgangston untereinander pflegen.

 

Andere Gerichte anderer Landesverbände sind an das Urteil nicht gebunden und könnten in vergleichbaren Fällen eine abweichende Entscheidung treffen.

 

Dennoch bleibt festzustellen, dass sich die Rechtsprechung hier den gesellschaftlichen Gepflogenheiten angepasst hat. So habe ich erlebt, dass „mein“ Mannschaftskapitän etwa im Jahr 1995 für drei (!) Monate gesperrt wurde, nur weil er um Weihnachten herum zum Schiri „Du Osterhase!“ gesagt hatte. Aus damaliger Sicht wohl gerade noch vertretbar, heute nicht haltbar.

 

Damit eine gefühlte Beleidigung auch rechtlich betrachtet eine solche ist, muss – verknappt ausgedrückt – die so genannte „Schmähkritik“ im Vordergrund stehen.

 

Eine „derbe Auseinandersetzung in der Sache“ ist dabei – auch nach Maßstäben des DHB-Bundesgerichts - hinzunehmen. Dabei kommt es immer auf den Einzelfall an.

 

Am Rande: Die Beleidigung nach § 10 RO DHB oder 8:10 a IHR hat keine strengeren Voraussetzungen als die Beleidigung nach § 185 StGB.

 

Die übliche Formulierung im Spielbericht: „… dadurch fühlte ich mich beleidigt!“, reicht allein nicht, um eine strafwürdige Beleidigung zu konstruieren.

 

Jüngstes Beispiel von meinem Schreibtisch war folgender Eintrag der SR: „Spieler B schrie: „So eine Scheiße!“  Dadurch fühlte ich mich beleidigt“.

 

Aufgrund eines solchen Eintrags darf keine Spielleitende Stelle eine Strafe aussprechen, weil der Bezug der Äußerung auf den Schiedsrichter objektiv nicht offensichtlich ist. Dass der Unparteiische hier  - warum auch immer – diese Äußerung auf sich bezogen hat, reicht nicht.

 

Lange Rede kurzer Sinn:

 

Die Maßstäbe dessen, was man sich unter Handballern ungestraft an den Kopf werfen darf haben sich – wie auch die Gesellschaft- in den vergangenen Jahrzehnten verändert. Dem trägt zunehmend auch die Rechtsprechung Rechnung.

 

Dennoch sollten wir im Umgang miteinander, sowohl innerhalb als außerhalb der Halle, auf der einen Seite sportlich und fair bleiben, ohne die Grenzen der Beleidigung auszutesten und auf der anderen Seite gelegentlich auch entspannter sein und über die eine oder andere aus der Emotion abgelassene Äußerung einfach hinweghören, solange diese nicht offensichtlich beleidigend ist.

 

Lösungsansatz:

 

Der Ordnungsgeber (DHB) könne darüber nachdenken, einen Tatbestand der "unsportlichen Äußerung nach dem Spiel" zu schaffen (während des Spiels kann progressiv bestraft werden), sozusagen als "Zwischending" zur Beleidigung. Unter Androhung einer Geldstrafe, jedoch keiner Sperre.

 

Allerdings würde das grundsätzliche Problem der "Grenzziehung" bestehen bleiben und geweissermaßen nur verlagert.

 

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