Fall: Der Wurf zur "Eckfahne"

Handballrecht bekommt immer wieder Fälle aus der Praxis zugeschickt, die an dieser Stelle in loser Folge diskutiert und besprochen werden. So auch hier der Wurf zur "Eckfahne"...

Sachverhalt

 

Mannschaft A führt 23:22 und hat den Ball. Time Out. Noch vier Sekunden zu spielen. Passives Vorwarnzeichen. Sechs Pässe sind gespielt. Anpfiff. A 15 bekommt Zuspiel an Mittellinie und wirft den Ball in Richtung „Eckfahne“ des Tores von B. Der Ball landet knapp im Seitenaus. Eine Sekunde später „hupt“ die Uhr.

 

Ein Video, auf dem die Szene gut zu sehen ist, ist vorhanden.

 

Die Schiedsrichter disqualifizieren A 15 (rot) und entscheiden auf Siebenmeter-Strafwurf für B, der zum 23:23 verwandelt wird.

 

Eintrag der Schieris im Bericht:

 

„Spieler 15 A wurde gem. Regel 8:10 d mit Bericht (!) disqualifiziert, indem er 4 Sekunden vor Spielende, bei passivem Vorwarnzeichen und keinem möglichen Wurf auf das Tor, den Ball absichtlich und deutlich ins Seitenaus geworfen hat. Eine schnelle Wurfausführung von B wurde somit unterbunden.“

 

Korrekte Entscheidung? Wenn nicht, was kann A "handballrechtlich" tun?

Die Lösung

 

Untechnisch ausgedrückt ist es so: Das Spiel läuft. Die Uhr läuft. Nirgendwo im Regelwerk ist festgelegt, dass ein Spieler auf das Tor zu werfen hat. Er wirft, die Zeit ist um. Gut ist. Spielende!

 

Meiner Meinung nach gilt das sogar, wenn der Spieler den Ball mit Vorankündigung absichtlich mit der höchst möglichen Bogenlampe in letzten Winkel einer unbesetzten Tribüne gejagt hätte. Denn die Schiedsrichter können jederzeit nach Wiederanpfiff auf passiv erkennen oder im Fall eines Passes/Wurfes ins Aus ein Time-Out geben.

 

Oder anders: Hätte nach dem Pfiff der zuspielende Spieler eine gute Sekunde für den Pass gebraucht und A 15 den Ball stumpf drei Sekunden festgehalten bis die Sirene ertönt, wäre wohl niemand auf die Idee gekommen, A 15 zu disqualifizieren und B einen "Strafwurf" zuzusprechen. 

 

Technisch ausgedrückt zitiere ich einfach den Facebook-Kommentar von "Marcus Toco-Loco":

 

DQ mit Bericht nach 8:10c bzw. 8:10d Internationale Handballregeln (IHR) ist nicht möglich, daher nur Prüfung auf DQ:

DQ nach 8:10c IHR schlägt fehl, da der Ball im Spiel war, da keine Unterbrechung des Spiels vorlag bzw. der Ball nicht im Torraum lag.

DQ nach 8:10d IHR schlägt ebenfalls fehl, da der Ball zwar im Spiel war, aber keine Regelwidrigkeit nach 8:5/8:6/8:10a-b IHR durch den Spieler vorlag; eine Konstruktion über 8:9a IHR scheidet aus, da dies nicht unter 8:10d IHR als Voraussetzung aufgeführt ist und keine Schiedsrichter-Entscheidung vorlag. Das Zählen der Passanzahl obliegt den SR, wenn sie nicht auf passives Spiel entscheiden, dann läuft das Spiel weiter.

Entscheidung: Spielende

 

Regel 8:10 d IHR

Die Folge

 

Die Schiedsrichter haben einen spielentscheidenden Regelverstoß begangen.

 

Wenn A den Einspruch form- und fristgerecht einlegt, muss das zuständige Handballgericht auf Neuansetzung des Spiels mit der jeweiligen Konstenfolge (von Verband zu Verband unterschiedlich) entscheiden.

 

Falls beantragt, muss auch die im Spielbericht angeführte Disqualifikation mit Bericht hinsichtlich des Berichts - also der automatischen Sperre - aufgehoben werden. Eine Disqualifikation nach 8:10 d IHR in den letzten 30 Sekunden ist seit der letzten Regeländerung zum 1. Juli 2016 eine reine "Matchstrafe".

 

Außerdem ist es rechtswidrig - wie hier geschehen - im Spiel auf "rot" zu entscheiden und nachträglich beim Abfassen des Protokolls "im stillen Kämmerlein" auf "blau" (mit Bericht") zu erhöhen.

 

 

Baustelle Rechtsordnung

 

Die Kritik -Rechtsordnung anpassen

 

Fehler passieren. Das ist menschlich! "Hier hat bei den Schiedsrichtern leider ein vermeintlicher 'Gedanke an Sportlichkeit' gegen die Regel gewonnen", kommentiert ein Leser in der Diskussion zu diesem Fall.

 

Dem stimme ich zu und ergänze: Die Regeln sind zu kompliziert!

 

Immer wieder gibt es Streit und Unklarheiten nicht nur bezogen auf Entscheidungen in den letzten 30 Sekunden des Spiels.

 

Die Komplexität des Regelwerks in Gänze ist in inzwischen niemandem mehr zu vermitteln. Keinem Spieler, Trainer, Zuschauer, Journalist und wie die Praxis zeigt - auch längst nicht allen Schiedsrichtern.

 

So passieren Fahler zwangsläufig und sie werden immer wieder passieren!

 

Die Frage ist: Wie gehen die Verbände mit diesen Fehlern um?

 

Eine Lösung wäre, die Regeln zu vereinfachen. Leichter gesagt als getan!

 

Da es sich um international gültige Regeln handelt, die die IHF in die Welt setzt und ändert, ist es deutschen Verbänden so gut wie nicht möglich, auf die Regelgebung Einfluss zu nehmen. Jedenfalls ist ein solches Unterfangen ein langwieriger Prozess.

 

Praktikabler erscheint, die Rechtsordnung (RO) anzupassen, um zumindest einige unbillige Härten künftig zu vermeiden.

 

Konkret auf unseren "Eckfahnen-Fall" bezogen bedeutet das:

 

Das Spiel endete durch den eindeutig zu Unrecht verhängten Strafwurf gegen A unentschieden.

 

Die Schiedsrichter haben einen spielentscheidenden Regelverstoß begangen, was bei erfolgreichem Einspruch zu der nach RO einzig möglichen Rechtsfolge der Neuansetzung des Spiels führen würde.

 

Jetzt steht A vor einem ernsthaften Problem - Einspruch einlegen oder nicht?

Die Mannschaft ist unstreitig benachteiligt worden, es fehlt ihr ein Punkt.

 

Eine Neuansetzung bringt nicht nur die Chance, das Wiederholungsspiel zu gewinnen, sie birgt nämlich auch das Risiko, es zu verlieren und am Ende mit einem Punkt weniger dazustehen als vor der Wiederholung.

 

Es ist ungerecht und vor allem unsportlich, das Risiko eines Wiederhlungsspiels allein einer Mannschaft aufzubürden, die das Spiel bei korrekter Regelanwendung gewonnen hätte!

 

Also gilt es die Rechtsordnung für solche Fälle dahingehend zu ändern, dass nicht nur eine Neuansetzung, sondern auch eine Umwertung des Spiels (hier zum 23:22 für A) möglich ist. Der nach Ablauf der Spielzeit zu Unrecht verhängte "Strafwurf" wird einfach gestrichen. Fertig!

 

Bislang weigert sich der DHB (anders als z.B. die EHF) allerdings beharrlich, die Möglichkeit der Umwertung in die eigene Rechtsordnung aufzunehmen.

 

Es wäre für alle Beteiligen - sicher auch für die Schiedsrichter - beruhigend zu wissen, dass in gewissen Fällen Fehlentscheidungen korrigiert und sehr einfach auch im Sinne des Sports Gerechtigkeit hergestellt werden könnte...

 

 

Lieber DHB! Wo ist das Problem? - Wann kommt die Änderung?

 

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